EARTH ODYSSÉE
Der Affe – Künstler des Anthropozäns?
Zu Tina Winkhaus Serie „Earth-Odyssee“
In Winkhaus jüngster Serie „Earth Odyssee“ (2019) beherrschen die Affen die Welt. Sie reiten majestätisch in dramatischen Roben auf Pferden und unzähmbaren Zebras. Sie sind Herrscher des Affenfelsens und imposanter Baumruinen im Wald. Auch spielen die Affen Karten, sinnigerweise das simple Glücksspiel „Schwarzer Peter“ - und gieren darauf wer denn die Verliererkarte zieht. Ihr Szenario ist das dystopisch vom Untergang geprägten Berlin, eine Szene die an den Film „Twelve Monkey’s“ (1995) erinnert. Wie es Terry Gilliam in seinem visionär, erschreckend aktuellen Science-Fiction Drama entworfen hat: Nachdem die Oberfläche von einem Virus verseucht wurde, muss die Menschheit unter der Erde leben. Eine Gruppe an Wissenschaftlern tüftelt an einem Plan zur Rettung des Planeten. Nur die Tiere scheinen dort oben überlebt zu haben. Sie sind die letzten Überlebenden nach der Katastrophe.
Der Affe in Winkhaus Werk hält uns den Spiegel vor. Der Affe, das Teufelstier steht für den Irrweg der Massen, der mit Verführung, Gier und Manipulation einhergeht. Zu leicht, so scheint die Kritik, haben wir es uns als Konsum-Gesellschaft gemacht. Die dramatisch bunten Draperien, in denen die Affen auftreten, sind eingefärbte Plastikschläuche. Wenn alle Ressourcen verbraucht sind, bleibt nur das Plastik. Das ist unvergänglich - braucht zwischen 100-500 Jahre für ihre Zersetzung -, sammelt sich in den Weltmeeren und manipuliert unser Ökosystem. Das ist unsere „Earth Odyssee" (nicht die im Weltall, wie sie Stanley Kubrik „2001: Odyssee im Weltall“ 1968 filmisch formuliert hat) sie zeigt unser Schlingern am Rand unserer zivilisatorischen Grenze auf der Erde.(1)
Aufgepimptes Schwergewicht
In allen ihren Werken haben Surrealismus, Pop-Art und Postmoderne ihre Spuren hinterlassen in Winkhaus visionären, fantasievollen Oeuvre. Große gesellschaftskritische Themen wie Globalisierung, Erderwärmung und Gesellschaftsrituale gehören zu ihrem Repertoire, die sie oftmals mit Anleihen der Kunstgeschichte „aufpimpt“. Francisco Goya, Rembrandt oder Caravaggio sind ihr dabei große Inspiration in der Auseinandersetzung für ihre fotografischen Bildmotive. Die dargestellten Tierkörper, der Hintergrund - alles hat eine satte Brillanz und Tiefe. Nichts ist beiläufig im gewählten Bildmotiv. In-Dem-Moment-Sein - ist eine wichtige Komponente in Winkhaus Werk. Der Moment, der verführt. Der Moment, in dem die dargestellte Person, das Tier oder die Situation schön, verspielt oder besonders, und immer zugleich auch abgründig ist.
In ihren inszenierten Bild-Welten ist das Motiv des Tiers Gradmesser der Befindlichkeit der Welt. Das Tier fungiert als Stellvertreter für den Menschen und verdeutlicht seine Entgrenzung. Denn in den Bildvisionen, die Winkhaus entwirft, verbirgt sich immer auch ein kathartischer Mechanismus, der sich auf das breite Spektrum der Affekte und Abgründe bezieht. Ihr dafür gewähltes künstlerisches Motiv des Affen ist kulturhistorisch ein Schwergewicht, das bis heute die Kulturkritik beflügelt.
À la bon goût oder die Eleganz der Affen
In den Arbeiten „Earth Odyssee: Monkeys riding along Wadden sea“ (2019) und „Earth Odyssee: Monkey on his horse“ (2019) bezieht sich Winkhaus gekonnt auf das Genre der Singerie. Denn gleichsam verkehrt sie mit dem Motiv die Welten. Da schaffen Affen leichthin, was der Mensch nicht kann. So auf den als unzähmbar geltenden Zebras zu reiten, wie in der Arbeit „Monkeys riding along Wadden sea“. In der Arbeit „Monkey on his horse“ wiederum reitet ein Affe - die klassische Herrschaftsikonographie imitierend - in Reiterpose auf ‚seinem‘ Pferd daher. Das Tier nimmt darin die Rolle des Menschen ein und spielt mit überkommenen ikonographischen Mustern.
Eine besonders elegante Position nahm der Affe bereits im klassischen Bildmotiv der Singerie ein, das ja so viel wie „Affentrick“ (frz.) heißt. Die populäre Mode der Singerie in der Malerei des frühen 18. Jahrhunderts beispielsweise zeigt auf verspielte Art die Süße des leichten Lebens oder überzeichnet im kritisch-spöttelnden Spiegel menschliche Rollenspiele. Das eigenständige Genre gibt ein humorvolles Bild des Affen wider, der modisch gekleidet, menschliches Verhalten nachahmt. Bekannte Darstellungen gibt es von einer Reihe französischer Künstler, wie Watteaus anspruchsvolle Darstellungen der Affen als Maler und Bildhauer um 1710, sowie die Arbeiten von Jean-Siméon Chardin der in seinen berühmten Darstellungen des „Affen als Maler“ (1739/49) und des „Affen als Münzensammlers“ (1729) eine Darstellung des zeithistorischen Diskurses über das Bildungswesen „érudition“ des Gelehrten und der malerischen Intelligenz „intelligence pituresque“ des Künstlers wagt.(2)
Auffällig ist, wie gut gekleidet und modish die Affen in Winkhaus’ Arbeiten sind. Ganz dem Beispiel des „bon goût“ folgend, waren auch die Affen der Sengerie häufig modisch ausstaffiert. Sowohl in der Malerei als auch im Dekor findet sich dieses Motiv. Im chinesischen Porzellan-Dekor oder der Chinoiserie beispielsweise, wurden Affen sogar in exotischen Mandarinenkleidung dargestellt, die chinesische Manieren imitieren.
„tirpissima bestia“ des Anthropozäns?
Doch die Leichtigkeit schwindet schnell im pessimistisch anthropologischen Programm von Winkhaus. Bewusst wählt sie dieses Thema, weil das Motiv des Affen eine wechselvolle Geschichte hat. Im religiös motivierten Figurenkanon des Mittelalters gehört der Affe zum Team des Teufels, dem Gegenspieler Gottes. Die Hölle ist da, wo der Affe wohnt. Ist er der Vorbote unserer Hölle? In der Arbeit ‚ Stadt als Beute' (2020) platziert Winkhaus ihn mystisch geheimnisvoll in eine düstere, im Farbton künstlich, ionisiert aufgeladenen Atmosphäre einer Giorgione Gewitter-Gewitterlandschaft (1509).
Seinen schlechten Ruf hat der Affe bereits im Grundbuch christlicher Tierallegorese dem „Physiologus“ (ca. 200 n. Chr.) erhalten. Dort mutiert er zur „tirpissima bestia“. Dort heißt es: „Auch der Affe spielt die Rolle des Teufels. Er hat nämlich einen Anfang, nämlich einen Kopf, aber kein Ende, nämlich keinen Schwanz, so wie der Teufel, der am Anfang der Erzengel war, aber sein Ende ist nicht zu finden.“(3) Diese Verteufelung des Affen, - wodurch er seine Nähe zum Menschen verliert -, breitet sich durch das gesamte Mittelalter aus.(4). Zu seinem Kanon gehören die sieben Todsünden, dargestellt als die sieben Lasterallegorien, zu der auch acedia – die Trägheit oder Faulheit gehört. In der bildhaften Darstellung der Todsünde sitzt die Arcedia, als Allegorie der Faulheit auf einem Esel und ihr sitzt - als unheilvolles Zeichen - ein Affe auf der Schulter. So reklamierte der Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux (c. 1090-1153) bereits: „simia supinus, rex fatum in solo sedens“ (der Affe auf dem Rücken, der Narrenkönig auf dem Thron sitzend).(5)
Welchen Narren haben die Affen in Winkhaus Arbeiten auf der Schulter gesessen? Sie sind wohl zu verstehen als Chiffre für den ‚big player‘ des Anthropozäns? Unseres Zeitalters, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist - und dabei ist alles zu verspielen. Da er Verursacher der globalen Umwelt- , Gewässer- und Lichtverschmutzung ist, die u.a. zur Folge haben, Abschmelzen der Polkappen und Gletscher, Anstieg vom Meeresspiegel, Erwärmung der Ozeane, Versauerung und Artensterben.
Die düstere Aura des Affen schillert schon lange im Farbkanon von Untugend, Diabolik und Sünde, und passt im übertragenen Sinne nur zu gut in unsere Zeit der gedankenlosen Ressourcenverschwendung und Vermüllung unseren Lebensraumes. Das Arsenal der traditionellen Negativ-Schablonen des Affen ist groß, bildmächtig und zieht sich hartnäckig durch die Jahrhunderte. Oft wird er dargestellt auf dem Kopf eines melancholischen Gelehrten sitzend, bei der Dressur, auf dem Baum mit lauter Diebesgut, Kleidung anprobierend oder mit Spiegeln hantierenden, als eitlen Affen. Im Gegensatz zum Moralkanon, ist der Affe Inbegriff ablenkender und zerstreuender Sinneslust - Emblem verwahrloster Lebensführung, Wesen ohne Vernunft.(6) Meisterhaft zusammengefasst hatte diese damaligen, verbreiteten Affenszenen, im 15. Jhd. der sog. Petrarca-Meister, in seinen Stichen für die erste deutsche Petrarca Übersetzung. Damit prägte er maßgeblich und über Jahrhunderte den negativen Bildkanon zu diesem Thema.
Reloaded - Der Affe als Sinnbild der Kunst
Mit dem Werk "De Genealogia Deorum" des italienischen „Starautors“ Boccacio aus dem 14. Jahrhundert kommt eine ideengeschichtliche Wende auf. Es ist das umfangreichste Werk, das Boccaccio je verfasst und geschrieben hat. Darin beschreibt er, wie Epimetheus, Bruder des Prometheus, eine Menschenstatue erschafft, für die ihn Jupiter in einen Affen verwandelt.(7) Jenseits der frühchristlichen Deutung des Affen, wie im „Physiologus“, der ihn dem Teufel zuschreibt.(9)
Damit „reloaded“ Bocaccio das Motiv des Affen, gibt ihm einen neuen Drive: Der Affe des Epimetheus wird zur Allegorie der Kunst. Epimetheus wird in einen Affen verwandelt, weil er durch das Kopieren eines Menschen, er die Natur des nachahmenden Affen nachahmt und ist damit der Affe selber.
Der Affe wurde zur Metapher des Künstlers und Nachahmers der Natur. Der Affe ist somit der Künstler selber. Auch Winkhaus greift auf diese Wendung des Affenbildes zurück. In ihrer Arbeit „Earth Odyssee: My Lovable Deamon“ (2019), hat sie ihr alter ego dargestellt, sieht sie sich selber als Affen.(10) In der Folge nach Bocaccios Umwertung des Affen, übernehmen in der Renaissance die Autoren diese positive Konnotation des Affen als Künstler.(11)
Charles Darwin koppelte später den Menschen mit seinem epochemachenden Werk „Über die Entstehung der Arten“ unzertrennlich an den Affen. Seit dem erscheint die Anmaßung der Menschen, Gottes Ebenbild zu sein, als eine Illusion und wurde der Affe also auf der einen Seite Künstler und auf der anderen Seite Gottesebenbild.
Wer ist da wessen Ebenbild? In Winkhaus Arbeiten ist es abzulesen, wir haben den „schwarzen Peter“ gezogen, denn in Anbetracht der Zerstörung des Planeten durch die Menschen wird alles hinfällig und jegliches Leben und Kultur schmilzt zu bloßen Überlebensmechanismen.
Text: Dr. Heike Fuhlbrügge